Interview mit Sabine Novak

Ehrenamtliche Sterbebegleitung: „Es tut gut, helfen zu können“

Seit mehr als zehn Jahren engagiert sich Sabine Novak auf vielfältige Weise im katholischen Hospiz St. Martin in Degerloch. Nun ist die ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin eine von neun Nominierten für den Preis Stuttgarter:in des Jahres. Im Interview erzählt die 64-Jährige, wie es zu ihrem Engagement kam, wie die Tätigkeit als Sterbebegleiterin aussieht und warum sie den gesellschaftlichen Umgang mit Tod und Trauer problematisch findet.

Was hat sie zu ihrem Engagement als Sterbe- und Trauerbegleiterin bewegt, Frau Novak?

Durch den Tod meiner Großmutter bin ich mit den Themen Tod und Trauer zum ersten Mal in Berührung gekommen. Jahre später erkrankte meine Mutter schwer. Gemeinsam mit meiner Schwester habe ich sie bis zu ihrem Tod begleitet. Wir haben uns damals innerhalb der Familie getragen und auch die Bestatterin hat uns sehr unterstützt. Das hat in mir viel bewegt und bei mir kam der Wunsch auf, anderen Menschen in ähnlichen Situationen zu helfen.

Das machen Sie bereits seit 2010. Wie sieht die Tätigkeit als Sterbebegleiterin aus? Und wie können Sie den Betroffenen konkret helfen?

Bei der Sterbebegleitung arbeiten wir ambulant. Wir besuchen die Menschen zu Hause, im Pflegeheim, der Klinik oder im Hospiz. Oft steigen wir schon frühzeitig in die Begleitung ein, nicht erst dann, wenn die Betroffenen schon im Sterben liegen. Wenn es ihr Gesundheitszustand zulässt, gehen wir mit den Menschen spazieren, spielen, singen, beten mit ihnen – je nachdem, was sie brauchen und möchten, und was wir als Sterbegleiter können. Jede Situation ist anders und wir gehen individuell darauf ein. Häufig geht es auch darum, die Angehörigen zu unterstützen, die nahezu rund um die Uhr im Einsatz sind und kaum noch Zeit für sich selbst haben. In der Phase des Sterbens ist es vor allem unsere Aufgabe, für die Betroffenen ganz da zu sein, die Situation auszuhalten und ihnen das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein.

Sprechen die Betroffenen mit Ihnen über andere Dinge als mit ihren Angehörigen?

Menschen mit einer schweren Erkrankung gehen ganz unterschiedlich mit ihrer Situation um. Einige möchten ihre Angehörigen nicht belasten und vermeiden es deshalb, mit ihnen über das Sterben und den Tod zu sprechen, obwohl es sie innerlich sehr beschäftigt. Mit uns können sie über alles sprechen, was sie bewegt.

Gab es in den Jahren ein Erlebnis, das Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Sehr viele. Mein erster Einsatz war auf jeden Fall eine dieser besonderen Erfahrungen. Es ging damals um eine alte Dame um die 80, die eine große Ähnlichkeit mit meiner Mutter hatte und auch deren Krankheitsverlauf Parallelen zu meiner familiären Geschichte aufwies. Das hat mich sehr bewegt. Ich habe diese Frau durch alle Phasen hindurch begleitet. Zu Beginn besuchte ich sie zu Hause, nach einigen Wochen musste sie stationär im Krankenhaus aufgenommen werden und schließlich kam sie ins Hospiz. Ich war bei ihr, als sie gestorben ist, und das ist etwas, dass man selbst als Sterbebegleiterin eher selten erlebt.

Wie belastend ist es für Sie, so oft mit Krankheiten und dem Tod konfrontiert zu sein? Wie verarbeiten Sie diese Erfahrungen?

Es sind schwierige Situationen, aber ich übernehme diese Aufgabe ganz bewusst und weiß, worauf ich mich einlasse. Ich bin für die Menschen da, fühle mit und begleite sie, aber ich bin mir immer bewusst, dass es nicht meine Situation, nicht mein Verlust ist. Diese Klarheit habe ich fast immer. Trotzdem nimmt man es auch mal mit nach Hause und muss es für sich bewältigen. Dabei ist für mich der Rückhalt meines Mannes ganz wichtig. Er ist offen für das Thema und bringt mir sehr viel Verständnis entgegen.

Gibt Ihnen die Tätigkeit auch etwas zurück?

Ich empfinde es als großes Geschenk, dass mir die Menschen solch ein Vertrauen entgegenbringen. Ich kenne die Betroffenen nicht und lerne sie in einer sehr schwierigen Situation kennen, trotzdem lassen sie mich an sich heran, vertrauen mir ihre Ängste und Nöte an und lassen mich sie auf ihrem Weg begleiten. Es tut gut, helfen zu können und die Dankbarkeit der Betroffenen zu spüren.

Was muss man Ihrer Meinung nach mitbringen, um sich als Sterbegleiterin engagieren zu können?

Man sollte ganz bestimmt ein großes Einfühlungsvermögen haben und die Bereitschaft, sich auf Menschen einzulassen. Die Menschen, die wir begleiten, sind ganz verschieden und sprechen auf verschiedene Dinge an. Auch wir Ehrenamtlichen sind ganz verschieden in unserer Art. Manche sind lebhaft, andere ruhiger. Man kann ganz viel von seiner Persönlichkeit und seinen individuellen Talenten einbringen.

Sie engagieren sich nicht nur in der Sterbebegleitung, sondern auch intensiv für Trauernde. Wie empfinden Sie den Umgang mit der Trauer in unserer Gesellschaft?

Tod und Trauer sind in unserer Gesellschaft Tabuthemen. Immer wieder müssen Betroffene erleben, dass Nachbarn oder Bekannte sogar die Straßenseite wechseln, um den Kontakt zu meiden. Hinter diesem Verhalten stecken Unsicherheit und Angst, doch für Trauernde sind diese Erfahrungen schmerzhaft und eine zusätzliche Belastung in ihrer ohnehin schon schwierigen Situation. Häufig werden Trauernde auch schon nach wenigen Monaten von ihrem Umfeld dazu aufgefordert, nicht mehr so traurig und wieder „normal“ zu sein. Doch der Verlust bleibt bestehen und die Betroffenen können nicht einfach einen Schalter umlegen. Die Nachfrage nach Trauerbegleitung ist groß, viele suchen Hilfe und Unterstützung in dieser Situation. Im Hospiz St. Martin bieten wir Einzelbegleitungen und unterschiedlichste Trauergruppen für verschiedene Lebensalter und Verlusterfahrungen an, veranstalten einmal im Jahr eine Gedenkfeier und eine einwöchige Reise für Trauernde.

Ihr jahrelanges Engagement hat Ihnen nun eine Nominierung für den Ehrenamtspreis „Stuttgarter:in des Jahres“ eingebracht. Wann und wie haben Sie davon erfahren?

Als Letzte (lacht). Ich wusste von nichts und bin von dem Anruf der Veranstalter total überrascht worden. Ich stehe zwar nicht so gerne im Mittelpunkt, aber ich bin sehr dankbar für die Wertschätzung der Menschen, die mich vorgeschlagen haben, und freue mich über die Nominierung.

Hintergrund

Zur Person

Sabine Novak ist 2018 nach über 30-jähriger Tätigkeit als Bereichsleiterin eines großen Dienstleistungsverbandes in den Vorruhestand gegangen, um sich noch umfangreicher in ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten einbringen zu können. Nebenberuflich ist sie als Geschäftsführerin der Katholischen Hospizstiftung Stuttgart, Dozentin und systemische Beraterin tätig.

Ehrenamtspreis

Mit dem Ehrenamtspreis „Stuttgarter:in des Jahres“ würdigen die Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten sowie die Volksbank Stuttgart jedes Jahr soziales Engagement von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt. Vom 28. Januar bis zum 7. Februar kann online zwischen insgesamt neun Nominierten in den drei Kategorien Kinder und Jugend, Kunst und Kultur und Nachhaltigkeit abgestimmt werden. Neben den drei Preisen aus der Publikumsabstimmung wird noch der Sonderpreis der Jury vergeben. Das Preisgeld beträgt jeweils 3.000 Euro und wird beim Festakt am 15. März überreicht.

 

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